Spuren Frühling 2016 – Putzen als Weg

«Wer Ordnung liebt, ist nur zu faul zum Suchen.» Ab heute nicht mehr mein Lebensmotto!

Putzen lieben?! Blöde Frage! Diese Tätigkeit kann man nicht lieben, es ist die undankbarste Arbeit, die es gibt, um nicht zu sagen eine Qual. Putzen ist jenes Scheusal, das bei mir zu Hause in jeder Ecke lauert, mir in die Ohren raunt und mein schlechtes Gewissen kitzelt. Wohl gerade deswegen hat mich die Autorin Linda Thomas mit diesem provozierenden Buchtitel erwischt. Bekanntlich holen verdrängte Schattenanteile uns immer wieder ein …

Scheuklappen weg!

Linda Thomas ist Reinigungsfachfrau und Gründerin eines ökologischen Reinigungsunternehmens. Sie befasst sich seit Jahrzehnten mit dem Putzen, vor allem aber der inneren Einstellung dazu, und hat aktuell ein Buch geschrieben, das weit über murrend vollzogene äusserliche Raumpflege hinausgeht. Subtil führt sie hin zu den feinstofflichen Aspekten unserer Wohnräume. Und genau hier packt das Buch zu: Meine über Jahrzehnte antrainierte Haltung, mit Scheuklappen durch meinen Wohnraum zu gehen, überbordende Stapel, Staub und Durcheinander elegant auszublenden und mich wichtigeren Dingen zu widmen, funktioniert nach der Lektüre einfach nicht mehr. Ein Schock! Vergleichbar mit dem Gefühl, als würde ich am Morgen in den Spiegel schauen und mir wäre ein Bart gewachsen. Ich will einfach nicht sehen, was sich mir da eröffnet.

Belebte Wesen Nicht nur das: Auch die Haltung, mit der ich putze, wenn ich dann mal putze, will ich lieber nicht wahrhaben. «Was ist wirklich der Sinn einer Handlung?», fragt Thomas harmlos, «erledige ich nur eine Arbeit, oder versuche ich sie heilbringend auszuführen? Wenn ich putze, aufräume, pflege – was bedeutet das für die geistige Welt? Was bewirkt es?» Auch etwas zu unterlassen, könne zerstörend wirken. Dass unser Zuhause ein Wesen sein soll, bestehend aus einem physischen Leib, einem Lebens- und einem Seelenleib, macht es nicht einfacher: unser Haus als ein Organismus, als unser erweiterter Körper, der mit Liebe gepflegt werden will. Der grundlegendste Teil von Linda Thomas‘ Arbeit ist es, mit den Räumen als belebte Wesenheiten zu kommunizieren. So erst entstehe Entwicklungsraum für den Einzelnen, die Gemeinschaft – und für die geistige Welt. Nun wird mir auch klar, wer mir dauernd in den Ohren liegt. In meinen Räumen erblicke ich nun schonungslos mich selbst und empfinde Mitleid. Nein, nicht, weil ich (dringlich!) aufräumen und putzen muss – mich schockiert, welch unsensibles Wesen ich bin, was mein all-tägliches Feld betrifft. Die Natur reinigt sich selbst, wie schön sie stets ist! Hier in diesen Räumen aber wird meine eigene Natur sichtbar: hier spiegelt sich, was ich liebe, was mir wertvoll ist – aber auch all das, was ich achtlos behandle oder nicht loslasse. Alles, was mich blockiert und mein Jetzt behindert. Staub etwa, sei manifestierte Vergangenheit, sagt Thomas. Wie viel Papier, Bücher, Gegenstände, die vor sich hinstauben, obwohl ich glaube, sie bedeuteten mir etwas … Chaos, überbordende Gestelle und Schränke – mannigfaltige, aber ungelebte Möglichkeiten, verwahrlost, vergessen, unbeachtet. Gehe ich so mit mir um? Ich bin erschüttert. Noch bevor ich das Buch fertig gelesen habe, werde ich tätig. Sackweise Altpapier wird entsorgt, Bücher verschenkt, Staub von Gestellen gewischt, Wände gewaschen … Der Weg ist noch weit, aber die Richtung stimmt: Wie in der Natur, die immer bereinigt und erneuert, was nicht mehr belebt ist, soll sich fortan Klarheit in meinen Räumen einfinden. Dass der Besen dazu dienlich ist, zeigen die Hexen in ihrem Flug.

EVA ROSENFELDER
Linda Thomas:
Putzen lieben?!
Verlag am Goetheanum,
Dornach 2015,
Seiten,414
Fr. 38.90.

2021-05-05T18:59:12+00:00
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