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Putzen

wir können es lernen zu lieben, wenn wir den Sinn dahinter verstehen

Interview mit Linda Thomas, Reinigungsfachfrau, Gründerin einer ökologischen Putzfirma, Buchautorin

Linda Thomas

Linda Thomas ist mit ihrer Botschaft „Vom Putzen zum Pflegen“ mittlerweile weltweit bekannt und gefragt. Ihre Botschaft besteht darin, dass wir mit einer bewussten Pflege von Räumen etwas in der Welt schaffen, was heilsam wirkt. Sie lehrt in ihren Seminaren, wie man einen Raum pflegen und durchlichten kann, die Elementarwesen darin unterstützten kann, aber vor allem, mit welcher inneren Haltung man das alles bewirkt.

Interviewpartnerin:
Linda Thomas wurde in einer Familie mit sieben Kindern in Südafrika geboren und wuchs dort auf. Sie hatte in Südafrika einen Schweizer kennen gelernt und ging durch eine Heirat in die Schweiz. Dort wohnt sie seit 34 Jahren. Während 21 Jahren betrieb sie bis 2009 ein ökologisches Putzunternehmen, arbeitete damit in Waldorfschulen, Heilpädagogischen Institutionen, privaten Haushalten, Firmen, u.s.w. Seit 1993 ist sie zuständig für die Hauswirtschaft am Goetheanum (Freie Hochschule für Anthroposophie in Dornach). Inzwischen gibt sie Seminare in der ganzen Welt, z. B. Großbritannien, Amerika, Kanada, Südafrika und ist in fast ganz Europa regelmäßig unterwegs. Immer wieder ist sie aber noch selbst als Reinigungsfachfrau tätig, z. B. im Goetheanum, und auch bei einigen Klienten als Aufräumhilfe, denen sie auf eine „fast therapeutische Weise“ immer wieder hilft sauber zu machen.

Christine Pflug: Frau Thomas, im Januar dieses Jahres ist ein Buch von Ihnen erschienen: „Putzen!? Von der lästigen Notwendigkeit zu einer Liebeserklärung an die Gegenwart.“ Welche Resonanz haben Sie bisher darauf bekommen?

Linda Thomas: In 10 Wochen war die erste Auflage mit 2.500 Exemplaren ausverkauft. Jetzt gibt es die zweite Auflage mit 5.000 Stück. Und eines freut mich besonders: Die ganz normalen Reinigungskräfte, die Anthroposophie gar nicht kennen, haben mein Buch entdeckt. Erstaunlicherweise können sie davon sehr viel profitieren. Beispielsweise schreibe ich darin auch über Elementarwesen, die in den Räumen sind, und das ist ja nicht selbstverständlich für die Menschen. Aber eine dieser „ganz normalen Putzfrauen“ hat mir beispielsweise erzählt: „Wissen Sie, was Sie da von diesen „Wesenheitlichkeiten“ – so sagte sie – schreiben, das ist mir ganz neu, aber ich glaube, dass das stimmt.“ Eine Andere sagte: „Das mit diesen Wesen ist mir fremd, aber was Sie über die Erziehung und Selbsterziehung gesagt haben, ist mir das Wichtigste in dem Buch.“ Eine weitere erzählte, dass sie das Buch immer begleite und noch nie habe ihr jemand so viel Mut für ihre Arbeit gemacht.

Wir können etwas zur Weltentwicklung beitragen

C. P.: Wie erklären Sie es sich, dass die Menschen so ein großes Interesse an Ihrem Buch, bzw. Ihrer Art des Reinigens haben?

L. Thomas: Auf meinen Seminaren erlebe ich, dass sich viele Menschen hilflos fühlen angesichts der Katastrophen, die auf der Welt passieren. Am selben Tag, als gerade von der Tsunami-Flut in Japan berichtet wurde, hielt ich einen Vortrag. Im Anschluss fragte mich beispielsweise jemand: „Was kann ich denn machen bei solch einer Katastrophen? Ich bin doch nur ein Einzelner …“. Mir kam spontan die Antwort: „Die Elementarwesen, mit denen sie in Kontakt treten, wenn Sie Ihr Geschirr spülen, sind auch die Wasserwesen. Und man muss davon ausgehen, dass es Wesen gibt, die den Menschen nicht mehr freundlich gesonnen sind. Aber das können wir an jedem Ort beeinflussen; mit jeder kleinen bewussten Tat schaffen wir etwas in der Welt.“ Und ich glaube, das ist es: die Menschen realisieren, wenn sie ihre Möbel abstauben, dass sie damit etwas in der Welt schaffen. Rudolf Steiner beschreibt in einem Vortrag, wie Elementarwesen beim Arbeiten am Schraubstock entstehen – egal wer am Schraubstock steht; gleichgültig sogar, ob er gar keine Ahnung davon hat, dass Elementarwesen entstehen. Rudolf Steiner betont: „Aber darauf kommt es an, dass sie recht entstehen, nicht dass sie überhaupt entstehen. Denn es können also den Weltenprozess störende und dem Weltenprozess dienende Elementargeister entstehen.“ ¹
Es ist wesentlich, wenn wir verstehen: Wir setzten etwas in die Welt, und auch wenn es ganz „klein“ ist, können wir dadurch etwas zur Weltentwicklung beitragen.

diese Wesen brauchen unser Bewusstsein

C. P.: Kann man sich das so vorstellen, dass diese Elementarwesen in der ganzen Welt miteinander in Verbindung stehen?

L. Thomas: Ich glaube schon, dass das so ist. Es sind Beziehungsfäden zwischen diesen Wesen und auch zwischen der äußeren und der inneren Welt. Ich habe unterschiedlichste Märchen und Schöpfungsgeschichten aus verschiedenen Kulturen studiert, und es ist immer die Rede von Wesen. Diese Wesen brauchen unser Bewusstsein und unsere Zuwendung, und wenn wir sie nicht einladen, mit uns gemeinsam zu schaffen, dann – so Rudolf Steiner – arbeiten sie mit anderen Wesen, beispielsweise Luzifer und Ahriman, gegen uns. Irgendwo habe ich auch gelesen, die Menschen sind für die Elementarwesen, was die Schutzengel für uns Menschen sind. Sie brauchen uns; selbst haben sie kein Gewissen, aber dort, wo sie Zuwendung bekommen, wirken sie mit.

C. P.: Wie würden Sie denn einer ganz normalen Reinigungskraft erklären, dass beim sauber machen Wesen entstehen?

L. Thomas: Ich beginne nicht damit, dass ich von der Entstehung der Elementarwesen berichte, sondern erzähle beispielweise über die „Heinzelmännchen von Köln“; bei „Frau Holle“, „Des Teufels rußiger Bruder“, „Die drei Männlein im Wald“ kommt auch das Putzen vor; immer dann, wenn die Arbeit schön gemacht wird, gibt es eine Belohnung. In einem bulgarischen Märchen „Die Frau Modiva“ kommt sie und macht das Haus sauber; es heißt dann „das ganze Haus leuchtet von ihr“.

sich völlig unwohl fühlen, obwohl aufgeräumt ist

Die meisten Reinigungskräfte kennen dieses Erlebnis, dass sie beispielsweise in einen Raum oder in ein Hotelzimmer hineinkommen und sich völlig unwohl fühlen, obwohl aufgeräumt ist. Die meisten Menschen, auch die Reinigungskräfte, erleben, wenn sie beispielsweise mit ihrer Familie im Urlaub in eine Ferienwohnung gehen, dass sie zuerst das Bedürfnis haben, dort etwas sauber zu machen und dann auszupacken. Sie haben dann das Gefühl „Jetzt ist es mein Raum“, sonst ist es fremd. Auch kann man spüren, dass manchmal etwas Unschönes in einem Raum ist. Oder wenn wir eine ganz schlechte Nacht hatten und am nächsten Morgen das Bett anschauen, hat man einen völlig anderen Eindruck, als wenn man eine schöne, ruhige Nacht hatte. Da beginnt die Wahrnehmung des Elementarischen. Damit können die meisten Menschen etwas anfangen, weil sie diese Erfahrungen gemacht haben.

C. P.: Haben Sie im Laufe Ihrer Arbeit dafür eine verfeinerte Wahrnehmung bekommen, bis dahin, dass Sie diese Wesen sogar beschreiben können?

eine Art „Kommunikation“ mit den Räumen

L. Thomas: Sehen kann ich sie nicht, ich bin überhaupt nicht hellsichtig veranlagt. Ich spüre sie und habe das Gefühl, dass sie da sind. Meine Stärke ist, dass ich eine Art „Kommunikation“ mit den Räumen habe, d. h. ich spüre, was ein Raum, den ich pflege, ganz speziell braucht. Diese Fähigkeit haben viele gute Reinigungskräfte.

C. P.: Können Sie ein Beispiel für solch eine „Kommunikation“ nennen?

L. Thomas: Einmal ging ich im Goetheanum durch die Toiletten und alle Türen der 15 einzelnen Kabinen waren geschlossen. Mit mir war eine Frau, die ein Stück Seife kaufen wollte, und zu ihr sagte ich: „Da stimmt etwas nicht.“ Ich machte eine Tür auf und sah, was da passiert war; ich spülte das weg und brachte alles in Ordnung. Für mich war das ganz normal. Aber diese Frau sagte: „Wie haben Sie gemerkt, dass etwas nicht stimmt, und woher wussten Sie, dass das diese spezielle Kabine war? Alle Türen waren doch geschlossen!“ Für mich ist das diese Art von Kommunikation: Es gibt Wesen, mit denen ich arbeite und mit denen ich eine Beziehung aufgebaut habe, und sie teilen mir quasi mit, wenn etwas nicht stimmt. Ich komme in einen Raum und spüre, in welcher Ecke etwas nicht in Ordnung ist oder wo etwas durchdrungen werden soll. Ich merke: Da hockt etwas, das gehört dort nicht hin.
Wenn man Reinigungsfrauen vorschreibt, was sie an welchem Tag genau machen sollen, führen sie die einzelnen Aufgaben aus und verbinden sich nie mit dem Raum. Wenn man aber jemand sagt, dass er für einen Bereich pro Woche eine bestimmte Anzahl Stunden zum Reinigen hat und dass ein bestimmtes Ergebnis erwartet wird, dann wird er kreativ und übernimmt Eigenverantwortung. Dann beginnt das Gespür, was dieser Raum braucht, und es entsteht eine Beziehung zu dem Raum.

die Elementarwesen sind aufgescheucht

C. P.: Was ist es dann, was in solch einem Raum entsteht?

L. Thomas: Man kommt herein und spürt, dass dieser Raum gepflegt ist. Es gibt Menschen, die machen sauber, aber hektisch und chaotisch. Wenn ich in so einen Raum komme, habe ich das Gefühl, die Elementarwesen sind so aufgescheucht, dass ich das Bedürfnis habe, etwas zu berühren und zu streicheln, um wieder eine Ruhe hinein zu bringen.

wenn man „putzt“, entfernt man lediglich den Schmutz

C. P.: Es ist also wichtig, dass nicht nur sauber ist, sondern auch eine Ruhe herrscht?

L. Thomas: Wenn wir einen Raum pflegen, berühren wir auch die Atmosphäre; wenn man „putzt“, entfernt man lediglich den Schmutz. Beim Pflegen arbeiten wir mit Bewusstheit und Interesse und es entsteht die Beziehung zu den Dingen und zu den Elementarwesen.

C. P.: Ist das auch der Schlüssel dafür, wie man lernt, gerne zu putzen? Denn normalerweise wird das nebenher als notwendiges Übel abgearbeitet und keiner würde dem einen hohen Stellenwert im Alltag einräumen.

… und wenn wir erst einmal Freude erleben, können wir daraus auch Kraft schöpfen

L. Thomas: Es gibt nur wenig Menschen, die das von sich aus gerne machen. Aber wenn wir wirklich verstanden haben, dass die Pflege in unserem Haus, in der Schule oder Praxis eine Grundlage bildet für das, was dann dort passieren soll, kann man sich anders damit verbinden. Dann können wir lernen das zu lieben, weil wir den Sinn dahinter verstehen. Das gibt uns dann auch den Mut weiterzumachen. Wenn wir beginnen, bewusst zu arbeiten, entsteht dabei Freude. Und wenn wir erst einmal diese Freude erleben, können wir daraus auch Kraft schöpfen, denn wenn man bei etwas keine Freude empfindet, wird man davon erschöpft. Ich selbst habe oft erlebt: Als ich selbst noch viel als Reinigungsfrau unterwegs war und erschöpft an einem Ort ankam, dann die Arbeit ganz hingebungsvoll und ruhig machte, ging ich erfrischt nach Hause. Es entsteht dann ein Austausch: Ich trage meinen Geist an die Materie heran, und sie gibt mir etwas zurück.
Dieses Prinzip wirkt bis ins Soziale: Wenn wir Räume pflegen, dann pflegen wir auch Beziehungen, d. h. geben den Menschen in diesen Räumen die Grundlage dazu.
Ich habe einmal gearbeitet mit Frauen aus Frauenhäusern; ihnen wurde in ihren Beziehungen Gewalt angetan. Diese Frauen hatten oft auch ein sehr ungepflegtes Zuhause. Wir versuchten dann ein Experiment: Sie pflegten ganz gezielt ihr Zuhause und versuchten es mit Sorgfalt zu durchdringen. In einigen Fällen half es, die Gewaltbereitschaft der Partner abzubauen.

C. P.: Haben Sie noch andere Beispiele oder Berichte, wie durch Ihre Raumpflege das soziale Miteinander besser wurde?

L. Thomas: Es gibt viele Beispiele, wo die Pflege von Räumen eine ganz direkte Wirkung hat. Gemeinsam mit der Züricher Universität arbeiten wir derzeit an einem Projekt, dass die Schüler ihr Schulhaus selbst sauber machen. Wir haben dabei festgestellt: Sobald die Schüler ihr Schulgebäude selbst putzen, verbinden sie sich anders damit und es entsteht weniger Vandalismus.
Eine Gruppe von Jugendlichen hat eine berüchtigte U-Bahn-Station in London, wo es viele Überfälle gab, sauber gemacht und frisch gestrichen und weiterhin regelmäßig gepflegt. Dann kamen diese Überfälle nicht mehr vor.
In der Heilpädagogik habe ich erlebt, dass ein junger Mensch, der Autist war, zwei Nächte lang nicht geschlafen hatte. Ich habe sein ganzes Zimmer sauber gemacht, ihm den Boden gewischt usw. Unmittelbar, nachdem ich das Zimmer gereinigt hatte, kam er herein, legte sich auf sein Bett und schlief 22 Stunden.

eine Reinigungsaktion mit jugendlichen Straftätern

Einmal wurde ich von einer Erziehungsanstalt für jugendliche Kriminelle gebeten, ein ganzes Wohnhaus von Grund auf zu reinigen. Nach einigen vorbereitenden Gespräche mit den zuständigen Erziehern waren wir bereit. Das Haus hatte drei Stockwerke, und das ganze Treppenhaus war mit aggressivsten Grafitis bemalt, furchtbare Bilder in ganz dunklen und ganz grellen Farben. In den Zimmern sollten nur Fenster, Türen und Böden gereinigt werden. Doch als die Jugendlichen einmal angefangen hatten, wollten sie doch gleich alles machen. Sie fingen an, die Poster und Kleber zu entfernen. Ein Bub nahm sogar sein ganzes Bettgestell auseinander und hat dabei viele verlorene Kleidungstücke wieder gefunden. Ein anderer wollte wissen, wie er seine Stereoanlage biologisch putzen konnte … Zum Putzen brauchte er auch Musik, und was für Musik! Es tönte wie eine Mischung aus Schnellzug und aus Maschinengewehr. Ich fragte, wieso er gerade diese Musik gewählt habe. “Es gibt mir Energie.” –“Aber das sehe ich Dir nicht an.” – “Was hören Sie denn für Musik?”, wollte er von mir wissen. „Hauptsächlich klassische Musik, ich war halt in den sechziger Jahren in eurem Alter.” Auf einmal hörte ich dann Cat Stevens “Morning has broken” aus den Lautsprechern. Ich konnte sogar den jungen Mann überzeugen, dass es sich einfacher zum Rhythmus von „Morning has broken“ putzen lässt als zu dem „tu-dum, tu-dum, tu-dum“ von seiner Musik. – Die Stimmung war wunderbar, und wir haben sehr viel geschafft. Als ich nun am nächsten Wochenende wieder kam, erwartete mich eine wunderbare Überraschung. Die Jugendlichen, die mit mir geputzt hatten, baten am folgenden Montag um Erlaubnis, mit dem eigenen Geld Farbe einzukaufen. In der freien Zeit strichen sie das ganze Treppenhaus von oben bis unten weiß an. Dabei blieb es aber nicht: Sie bemalten dann die ganze Fläche mit kindlichen Bildern. Ein Häuschen mit rosaroten Vorhängen an den Fenstern, einer grünen Tür und rauchendem Schornstein, Obstbäume mit reifen Äpfeln und Kirschen, eine strahlende Sonne, Regenbogen, Schmetterlinge, Schneckenhäuser, Tulpen und Osterglocken – und Kinder, die auf den Hügel Drachen stiegen ließen.
Erst diese Kulturerfahrung des gemeinsamen Reinigens rief in den Jugendlichen etwas wach, was sie gar nicht kannten, ja nicht einmal ahnten. Diese (scheinbar) abgehärteten, sozial schwerstgeschädigten jungen Menschen empfanden das Bedürfnis, sich dort an der Wand ein Stück heile Welt zu erschaffen – die entstandene (weiße) Leere neu zu gestalten.

Chaos und Unordnung

C. P.: Es gibt Menschen, die behaupten, dass sie ein gewisses Chaos brauchen um kreativ zu werden. Wie sehen Sie das?

L. Thomas: Wenn eine Vielfalt von Dingen um einen herum sind, kann die Fantasie angeregt werden. Ich kenne aber bedeutende Künstlerinnen und Künstler, die nicht schaffen können, wenn in ihrem Atelier keine Ästhetik herrscht, es nicht sauber und gepflegt ist. Das ist aber alles individuell.
Es gibt auch den Spruch: „Ordnung ist für Dumme, das Genie beherrscht das Chaos.“ Aber ich habe vielmehr Chaos vorgefunden, als dass ich geniale Menschen kennengelernt habe. Und viele Menschen, die mit diesem Spruch kommen, erlebe ich nicht als genial. Ich halte das insofern für eine Ausrede.

C. P.: Was ist der Unterschied zwischen Chaos und Unordnung?

L. Thomas: Chaos ist mehr im Unsichtbaren und Unordnung mehr im Sichtbaren. Ich habe einmal mit einem 16-jährigen Mädchen gesprochen, dass mit seiner Mutter Probleme hatte. Auf meine Frage nach dem Grund sagte sie: „Meine Mutter spricht immer von dem Chaos, aber das Chaos, was ich erlebe, ist in mir drinnen. Da ist so eine große Leere und ich bin so einsam. Und es gibt kein größeres Chaos-Gefühl als Einsamkeit. Und deswegen kann ich es überhaupt nicht ertragen, mich mit dieser Unordnung da draußen auseinanderzusetzen, weil sie in mir so groß ist.“ Das hat ein Kind so verbalisieren können.

wenn man eingreift, gibt es einen Verwandlungsprozess

C. P.: Es hilft also, bei dem inneren Chaos eine äußere Ordnung zu schaffen?

L. Thomas: Ja natürlich, weil man dann etwas formt. Wenn man viel zu tun hat oder den Alltag mit vielfältigen Möglichkeiten gestalten muss, stehen wir dem Chaos direkt gegenüber. Und jetzt ist die Entscheidung, ob man alles so lässt oder ordnend eingreift. Wenn man eingreift, gibt es einen Verwandlungsprozess, dann kann etwas entstehen. Wenn Menschen durch eine Krise gehen und alle bisherigen Werte sich auflösen, oder das Denken, Fühlen und der Wille in drei Richtungen ziehen – das ist Chaos. Die physische Folge davon ist die Unordnung. Auch Überforderung führt oft zum Chaos: die Gedanken, die Gestik (Bewegungen), die Taten sind ungeordnet. Wenn wir versuchen, das zu ordnen, beginnen wir meist mit dem Denken, d.h. wir empfinden zwar ein Bedürfnis nach Ordnung, aber zuerst müssen wir uns entscheiden, und dann können wir etwas tun. Damit bringen wir unser Denken, Fühlen und Wollen zusammen.

C. P.: Wenn man berufstätig ist und eine 50-Stunden-Woche hat oder man ist beispielsweise alleinerziehende Mutter, dann schafft man es nicht, mit Ruhe und Muße den Haushalt zu pflegen. Aber womit und wie könnte man anfangen?

wo anfangen?

L. Thomas: Ich habe das auch erlebt, d. h. war alleinerziehend und sehr beschäftigt. Was mir damals geholfen hat: Abends, bevor wir ins Bett gegangen sind, haben wir einen Blick geworfen auf all diese Bereiche, wo wir gemeinsame Räume hatten, also Wohnzimmer, Badezimmer, Küche. Ich sagte zu meinen Kindern: „Wir schauen uns das an, und alle privaten Dinge, die die nicht an ihrem Platz sind, räumen wir auf.“ Der Schulranzen kommt dort hin, wo er hingehört; der Pulli, der über dem Sofa hängt, kommt in den Wäschekorb oder in den Schrank; die Geige muss wieder an ihren Platz gestellt werden. Wenn dann vielleicht fünf Sachen verschwinden, hat man eine Grundordnung. Auch wenn man erschöpft ist: den Mut noch aufbringen, das Geschirr zu spülen, weil wir morgen den Tag frisch anfangen und nicht mit den Altlasten von gestern.
Das ist für mich eine kleine Grundübung gewesen, und die Kinder gewöhnen sich daran. Ich habe meinen Kindern gesagt: „Mami erzählt keine Geschichte in einem unaufgeräumten Zimmer.“ Dann haben wir gemeinsam ein wenig aufgeräumt. Morgens bin ich dann 15 Minuten früher aufgestanden, nachdem ich mir abends vorgenommen hatte, was ich machen will. Und wenn man 15 Minuten ganz gezielt und in Ruhe etwas machen kann, schafft man erstaunlich viel.
Wenn jemand eine große Aktion machen will, sage ich dem Betreffenden: „Überlegen Sie sich, welcher Raum im Haus Sie am meisten stört.“ Das wissen fast alle sofort. „Dann stellen Sie sich in den Türrahmen und schauen, was genau es in diesem Raum ist, was am meisten stört.“ Meistens ist es das, was wir schon sehr lange vor uns herschieben. Wenn wir das dann angegangen sind, löst sich die Blockade und es werden Kräfte frei. Dann empfehle ich, sich wieder in den Türrahmen zu stellen und dann links oder rechts an der Peripherie entlang von oben nach unten aufzuräumen und sauber zu machen.
Es gibt Unordnung, die entsteht durch das Leben, und die ist meistens sehr schnell aufgeräumt. Andere Unordnung entsteht dadurch, dass man Sachen liegen lässt und nicht an ihren Platz räumt. Eine dritte Art der Unordnung ist das Horten, d. h. wenn Menschen nichts mehr wegwerfen; das wird heute mit dem Begriff „Messie“ bezeichnet.
Alles, was mit dem Haushalt zu tun hat, bildet eine Grundlage für so vieles, das sich im Leben entfalten will. In der Suche nach einem Gleichgewicht zwischen unserem Streben nach Schönheit, Ordnung, Harmonie und den täglichen Notwendigkeiten des Lebens, da finden wir die Pflege.

Über

Linda Thomas

Linda Thomas entwickelte eine Arbeitsphilosophie, die das Putzen in Pflegen verwandeln kann und setzte einen deutlichen Impuls für eine Umwandlung im Denken und Handeln, sowie für ein erweitertes Selbstverständnis der Haushaltungstätigkeit.

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